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Der neue Friedensvertrag mit den FARC

Nur wenige Wochen waren seit der knappen Ablehnung des Friedensvertrags in der Volksabstimmung Anfang Oktober vergangen, als Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos am 24. November ein neues Abkommen mit der linken Guerrilla-Bewegung FARC unterzeichnete, das „jetzt wirklich allen Kolumbianern“ gehöre.

Bei der Ausarbeitung des neuen Vertragsinhaltes brachten Santos und sein Verhandlungsteam mehr als 500 Änderungsvorschläge von religiösen und politischen Gruppen der Opposition, gruppiert in 57 Themengruppen, zur Diskussion mit den Vertretern der FARC in Havanna auf den Verhandlungstisch. Die sich daraus ergebenden rund 60 Änderungen gegenüber jenem Vertrag, der im Plebiszit vom 2. Oktober vom kolumbianischen Volk abgelehnt wurde, waren für die Wortführer der Nein-Fraktion – allen voran Expräsident Uribe – noch viel zu wenig weitreichend. Das neue Abkommen sei eine „Farce“, ein „Ablenkungsmanöver“ und das Verhandlungsteam des Präsidenten habe die „Vorschläge der Opposition arrogant ignoriert“.

Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass der Vorwurf „rein kosmetischer Änderungen“ allenfalls für den Bereich „Gender und LGBTI“ zutrifft. Angesichts der vor allem von religiösen Gruppen im Vorfeld des Plebiszits betriebenen Stimmungsmache, dass mittels des Abkommens die kolumbianische Gesellschaft einer „Gender-Ideologie“ oder gar einer „Zwangshomosexualisierung“ unterworfen werden solle und die traditionelle Familie damit in Frage gestellt würde, achteten die Verhandler peinlich genau darauf, durch ihre Wortwahl keinen weiteren Anlass für Polemik dieser Art zu bieten. So wurden die Referenzen auf „Gender-Fokus“ und „diverse sexuelle Identität“ weitgehend durch allgemeinere Begriffe wie „Nichtdiskriminierungsfokus“ und „differentielle Perspektive“ und „Kampf gegen Stigmatisierung“ ersetzt.

Bei einem der am heißesten diskutierten und für die FARC zentralen Themen – der Wählbarkeit und der politischen Partizipation – blieb das Verhandlungsteam der Guerilla eisern. Dementsprechend stellt selbst die Verhängung einer Sanktion durch den Gerichtshof für den Frieden aufgrund von Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiterhin keine Hürde für die prinzipielle Wählbarkeit von Ex-Kämpfern und Kommandanten der FARC dar. Unklar blieb dabei gemäß dem alten Vertrag, ob dies auch für den Zeitraum der Verbüßung der Sanktion bzw. vor dem Beginn eines Verfahrens gilt. In Zukunft kommt in dieser Frage dem „Nationalen Wahlrat“ eine Entscheidungsfunktion je nach Einzelfall zu.

Markante Änderungen

In anderen wichtigen Punkten wartet der neue Vertrag jedoch mit einigen essentiellen Veränderungen im Vergleich zum alten Wortlaut auf. So bleibt das Recht auf (teilweise) Amnestie im Rahmen der Übergangsjustiz zwar für all jene aufrecht, die vollständig geständig und zur umfassenden Zusammenarbeit mit der Justiz bereit sind. Verurteilte, die in den Genuss der Spezialgerichtsbarkeit kommen, brauchen auch weiterhin keine Gefängnisstrafe zu fürchten, sind aber verpflichtet, sich über einen bestimmten Zeitraum in präzise abgegrenzten Zonen aufzuhalten, in denen sie auch Wiedergutmachungsaktionen ausführen müssen. Diese Zonen dürfen nicht größer sein als jene speziellen Regionen, die in den nächsten Wochen als erster Implementierungsschritt für die Demobilisierung, Sammlung und Waffenabgabe für die FARC eingerichtet werden, und es müssen bestimmte Kontrollzeiten eingehalten werden. Zum Verlassen der Zone bedarf es einer speziellen Genehmigung. Darüber hinaus ist ein spezieller Aufenthaltsort anzugeben, dessen Einhaltung nachgewiesen werden muss. Die Kontrolle der Auflagen unterliegt der UNO.

Eine weitere wesentliche Neuerung besteht in der Verpflichtung der FARC, zur Entschädigung der Opfer illegal lukrierte Gelder zu verwenden und ein präzises Inventar ihrer Vermögensbestände zu erstellen, die alle dazu herangezogen werden können. Strittig war in diesem Zusammenhang, ob das Delikt des Drogenhandels amnestiefähig sei. Gemäß dem alten Abkommen handelte es sich um ein „mit der Rebellion verbundenes Delikt“. Dieser automatische Konnex ist im neuen Vertrag nicht mehr zu finden, stattdessen werden neue Instrumente geschaffen, anhand derer abgewogen werden soll, ob eine Begnadigung bei Drogendelikten möglich ist. Voraussetzung ist dabei, dass keine persönliche Bereicherung vorliegt. Zweck dieser Maßnahme ist es zu verhindern, dass gewöhnliche Kriminelle in den Genuss der Vorteile der Spezialjustiz kommen.

Der neue, kurz vor Weihnachten im Schnelldurchlauf durch die beiden Kammern des kolumbianischen Parlaments abgesegnete Vertrag geht nicht mehr als gesamter Block in die kolumbianische Verfassung ein, wie dies bei einem positiven Ausgang des Plebiszits der Fall gewesen wäre. Es ist lediglich eine Verfassungsreform vorgesehen, gemäß der die insbesondere auf das internationale humanitäre Völkerrecht bezogenen Passagen als Maß- stab für die Auslegung gelten. Damit soll eine langfristige Rechtssicherheit hergestellt werden, ohne den gesamten Vertragstext in den Verfassungsrang zu heben, wobei sich viele Kritiker besorgt zeigen, dass Willkürakten von künftigen Regierungen damit Tür und Tor geöffnet sind.

Nicht zufällig bildet der Komplex Landverteilung und Landrückgabe das Auftaktkapitel des alten und des neuen Vertrages. Auch bei diesem für die FARC so zentralen Thema kam es zu einigen Verwässerungen und Schwerpunktverschiebungen. So wird zum Beispiel explizit festgehalten, dass die Bestimmungen des Abkommens das „verfassungsmäßige Recht auf Privateigentum“ nicht beeinträchtigen dürfen. Um den Ängsten aufgrund einer angeblich drohenden „castro-chavistischen Grundenteignung“ den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde auch festgeschrieben, dass alle Landbesitzverfahren gemäß den geltenden Gesetzen abzuwickeln sind. Kleinbäuerliche Landwirtschaft und große Agrarindustrie sollen nebeneinander bestehen, wobei der Aspekt der Zusammengehörigkeit beider Bereiche betont wird.

Die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden im Rahmen der Übergangsjustiz (JEP) war im Vorfeld des Plebiszits ebenfalls Gegenstand heftiger Debatten und Polemiken. Das im neuen Vertrag vereinbarte Modell weist einige wesentliche Änderungen auf. Gemäß dem Wunsch der Opposition wurde die Partizipation von ausländischen Richtern und Staatsanwälten in den diversen Gremien eliminiert; diese werden nun völlig von kolumbianischen Staatsbürgern gebildet. Die ausländische Beteiligung beschränkt sich nunmehr auf eine rein beratende und unterstützende Funktion. Der Verfassungsgerichtshof ist dem Spezialgericht für den Frieden auf jeden Fall übergeordnet, dem Obersten Gerichtsrat kommt eine wichtige Funktion bei Uneinigkeit darüber zu, ob für einen Fall die gewöhnliche Gerichtsbarkeit oder die Spezialgerichtsbarkeit für den Frieden zuständig ist. Gegen Urteile der Gremien der JEP sind nun auch Rechtsmittel zulässig. Im Unterschied zur alten Version ist nun eine Maximaldauer der JEP von 15 Jahren vorgesehen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich eine danach amtierende Regierung nicht mehr an die Inhalte des Friedensvertrags gebunden fühlen könnte.

Hürdenreiche Umsetzung

Dem in der neuen Version auf 320 Seiten angewachsenen Vertragswerk, das von Experten als „Meisterstück der Konfliktschlichtung“ bezeichnet wurde, steht in den nächsten Monaten allerdings die erste echte Bewährungsprobe bevor.

Der Befürchtung, dass rechte Paramilitärs in das von der Guerilla hinterlassene Vakuum stoßen könnten, wird durch die sich in den letzenden Wochen häufenden Morde an Gewerkschafts-, Bauern- und Indigenen-AktivistInnen neue Nahrung gegeben. Seit dem Beginn der Friedensverhandlungen wurden etwa 120 Mitglieder der linken Bewegung Marcha Patriótica ermordet, im Jahr 2016 allein 70. Zwei Angehörige der FARC wurden am 15. November auf dem Weg zur Sammelstelle von einer Einheit des Militärs angegriffen und erschossen. Einige zur Dissidenz neigende FARC-Einheiten führen auch solche Tatsachen und die wohl nicht unbegründete Furcht vor politischen Morden an entwaffneten Ex-Rebellen ins Treffen, um ihre Vorbehalte gegenüber dem Friedens - prozess zu bekräftigen.*

Für sozialen und politischen Sprengstoff ist auch weiterhin gesorgt: Die wie Pilze aus dem Boden sprießenden illegalen Minen, widerrechtliche Landnahme und die Frage der Besitzrechte an Wasserquellen werden wohl die großen Konfliktfelder der Zukunft darstellen, die sich auch massiv auf den Friedensprozess auswirken können. Dass dieser aber weitergehen soll, kündigte Präsident Santos Ende Jänner an: Ab dem 8. Februar würden in Ecuador formelle Friedensverhandlungen zwischen der zweitgrößten Guerillagruppe ELN und der Regierung stattfinden (Anm.: die inzwischen auch begonnen haben).


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