Bedeutet der Frieden in Kolumbien mehr Belastung für die Umwelt?
Text auf Spanisch:
Verfassen von JUANITA VÉLEZ | NATALIA ARENAS
Wirkt sich der Rückzug der FARC-Guerilla aus den von ihr bisher kontrollierten Gebieten nachteilig auf die Umwelt aus?
Seitdem sich die FARC-Guerilla in den für die Waffenübergabe vorgesehenen Zonen in Kolumbien gesammelt hat, hat sie nicht nur Gebiete verlassen, in denen sie davor präsent war, sondern es gingen auch jene teils ungeschriebenen Regeln und Gesetze verloren, durch welche die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und Bodenschätzen in jenen Regionen zu einem kostspieligen Unterfangen wurde. Ein Nebeneffekt des Diktats dieser Regeln war, dass letztlich diese dem Schutz der Umwelt zugutekamen. Es ist somit kein Zufall, dass Iván Márquez, Mitglied des FARC-Sekretariats in seinen Stellungnahmen immer wieder darauf hinweist, dass der Bereich Umweltschutz auch im Fokus des politischen Diskurses der zukünftigen politischen Bewegung der FARC stehen wird.
Da nun in den betroffenen Gebieten keine Autorität mehr vorhanden ist, der diesen Regeln Nachdruck verleiht, kam es in letzter Zeit dort zu immer stärkeren Rodungen und Entwaldungen. „La Silla Vacía“ ist Fällen in den Departments Caquetá, Meta, Guaviare und Chocó nachgegangen, die zeigen, auf welche Weise der Rückzug der FARC die Umwelt beeinträchtigt hat und wie der Staat alles auf eine neue Strategie setzt, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
Die „Normen“ und die konkreten Fälle
In den von der FARC kontrollierten Zonen waren das Fällen von Bäumen, die Jagd auf Tiere zum anschließenden Verkauf, die Rodung der Vegetationsdecke, Fischfang für rein kommerzielle Zwecke oder die „Entsorgung“ von Müll in Gewässern oder Flüssen verboten.
Zur Durchsetzung dieser „Normen“ ging die FARC keineswegs zimperlich vor: Erpressungen und Schutzgeldforderungen, die anhand von „Gemeinschaftsanteilen, Quoten oder Gebühren“ bemessen wurden und Auferlegung von Geldbußen oder anderen Strafen für diejenigen, welche die Verpflichtungen nicht erfüllten.
„Dies nannte man das „Umwelt-Handgeld“. Sie verteilten dieses an die diversen Ratsversammlungen und manchmal kam es dabei zu Änderungen, da es sich um sehr strenge Auflagen handelte, dann diskutierten wir das mit ihnen und vereinbarten z. B. dass wir mehr Bäume fällen durften oder uns die Jagd an einigen Orten gestattet wurde,“ sagt Jairo Váquiro, Vorsitzender des Rates für gemeinschaftliche Maßnahmen und Aktionen der Gemeinde „La Montañita“.
Dies sollte sich als zweischneidige Strategie entpuppen. Einerseits trugen diese Regeln dazu bei Ökosysteme über Jahrzehnte zu schützen, andererseits dienten sie der Guerilla auch dazu, sich vor der kolumbianischen Armee zu schützen.
Wenn man beispielsweise vermied Bäume zu fällen oder Müll in einen Fluss zu werfen, war es für jede mobile Sondereinsatzgruppe schwieriger, die Verfolgung der Guerilla aufzunehmen, weil sie keine oder kaum Spuren von Präsenz hinterließ. Und dies erlaubte der Guerilla auch, sich aus den Flüssen zu ernähren.
„Da niemand mehr die Kontrolle hier ausübt, ist die Zahl der Rodungen stark angestiegen und das obwohl wir Bewusstseinsbildungskampagnen durchführen“, erzählt das Gemeinderatsmitglied David Moreno. „Die Bäume, die die Guerilla in fünfzig Jahren nicht gefällt hat, wurden von anderen Akteuren allein in diesem einem Jahr gerodet“, ergänzt Jaime Pacheco, Bürgermeister der Gemeinde Uribe im Department Meta.
Ähnlich lautet auch die Aussage von Gerardo Calvo, einem Berater des Umweltministeriums gegenüber „La Silla Vacía. „Es gibt keine offiziellen Daten darüber, ob und welche Weise sich der Rückzug der FARC auf die Zunahme der Rodungen ausgewirkt hat, aber dies sind die Informationen, die wir aus Gemeinden in Departments wie Guaviare und Amazonas erhalten.“
In Uribe, einer Gemeinde am Fluss Duda, sind die Waldrodungen in den letzten Wochen sprunghaft angestiegen. „Jeden Tag werden hier 2 bis 3 Hektar Wald gerodet“, gibt der Gemeinderat Moreno an. Obwohl keine offiziellen Zahlen vorhanden sind, wie viele Bäume tatsächlich gefällt wurden, handelt es sich laut lokalen Berechnungen um mindestens 3.000 Hektar allein dieses Jahr. Um auf diese Zahl zu kommen, müssten allerdings pro Tag 16 Hektar Wald abgeholzt werden.
Laut Aussagen von Víctor Cabrera, einem anderen Gemeinderat dieser Gemeinde, gegenüber „La Silla Vacía“ ist die Abholzung vor allem in den niedrigen Höhenlagen der Gemeinde offenkundig. In den gerodeten Flächen würden die Bauern und Bäuerinnen vor allem Bananen, Mais und Reis säen.
„Es ist nicht so, dass sie die Wälder roden, um sich Holz zu beschaffen, sondern um ihre Anbauflächen zu erweitern, da es jetzt ja niemanden mehr gibt, der ihnen sagt, dass sie dies nicht dürfen“, sagt Cabrera.
Die Zunahme der Rodungen ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, die je nach Department oder Region unterschiedlich sind.
Da sind zum einen die Landbesitzer, bei denen auf einen Hektar Fläche 3 Zuchttiere kommen, und welche die Rodungen durchführen, um wieder einen Hektar für weitere 3 Tiere usw. zu erhalten. „Bei einer industrielleren Form der Viehzucht könnte man 20 Tiere pro Hektar halten, aber das wird hier von niemandem mehr kontrolliert und so werden die Bäume abgeholzt, um die landwirtschaftlichen Grundstücke zu vergrößern“, sagt Gemeinderat Moreno.
Der vor diesem Hintergrund alarmierendste Fall spielt sich in Guaviare ab, einem Department, in dem allein sich 3 der 8 Brennpunkte befinden, in denen die Zahl der Rodungen im ersten Quartal dieses Jahres gemäß dem letzten Bericht des Umweltforschungsinstituts Ideam regelrecht außer Kontrolle geraten ist.
„Da niemand mehr die Kontrolle hier ausübt, ist die Zahl der Rodungen stark
angestiegen und das obwohl wir Bewusstseinsbildungskampagnen durchführen"
GEMEINDERAT DAVID MORENO
Hier fiel der Rückzug der FARC nicht nur mit dem Erstarken der den Friedensprozess ablehnenden, dissidenten „Frente Primero“ der FARC sondern auch mit dem Eintreffen dritter Akteure auf dem Schauplatz zusammen, die sich der brachen Flächen und der verlassenen Gebiete bemächtigen, eine Entwicklung die vom Umweltministerium als „Boom“ bezeichnet wird, der sich aus der Hoffnung auf Landbesitz speist. Betroffen von diesem „Landaneignungsboom“ sind in vielen Fällen darüber hinaus im staatlichen Besitz stehende Brachflächen, deren Preis daher äußerst gering ist.
„Es handelt sich um ein Phänomen „sui generis“, das mit dem Postkonflikt in Zusammenhang steht“, gibt eine aus Sicherheitsgründen ungenannt bleiben wollende Auskunftsquelle des Umweltministeriums gegenüber „La Silla Vacía“ an. „Heute gibt es ein verstärktes Interesse der Grundbesitzer in sehr billige Ländereien zu investieren, aus denen sie Weideland für die extensive Viehzucht machen wollen, in der Hoffnung, Anspruch auf dieses geltend zu machen, um von der Nationalen Agentur für Grundbesitz als dessen rechtmäßige Eigentümer deklariert zu werden.“
Diese Entwicklungen seien heute in Gemeinden wie „El Retorno“, „Calamar“ und „Miraflores“ offenkundig. Gemäß unserer Quelle soll es Fälle geben, in denen eine einzige Person gesamte Gemeindeteile aufkauft. „Aber dies läuft alles sehr informell ab, es gibt keine Urkunden“, fügt unsere Auskunftsperson hinzu. Diese Informationen werden von Wilfredo Pachón, dem Leiter der Abteilung für das Department Guaviare der „Gesellschaft für die nachhaltige Entwicklung des Nordens und Ostens der Region Amazonien („Corporación para el Desarrollo Sostenible del Norte y Oriente“ = CDA) im Gespräch mit „La Silla Vacía“ bestätigt.
Andererseits kam es in Departments wie Caquetá zu einem Anstieg der Rodungen aufgrund der Rückkehr von Bauern, die von der FARC vertrieben worden waren, und die beim Versuch, ihre Grundstücke zurückzuerhalten feststellen mussten, dass diese sich in sehr schlechtem Zustand befanden. „Dann siedeln sich diese Menschen einfach woanders an, fällen die Bäume und nutzen das anfallende Holz für Pfosten zur Einzäunung ihrer Ländereien“, sagt Gemeinderat Cabrera.
Diese „Kolonisierung“, die im Wesentlichen aus der schrittweisen Rodung von Bäumen bestand, um mehr Hektar Land für die Viehzucht zur Verfügung zu haben, trifft auch Caquetá hart, ein Department, das zu einem guten Teil von der Milch- und Fleischproduktion lebt.
Gemäß den offiziellen Zahlen befinden sich die Brennpunkte der Entwaldung in diesem Department in den Gemeinden San Vicente del Caguán (im Jahre 2016 betrafen 5 % der Warnmeldungen diese Gemeine, im laufenden Jahr sind es bereits 11 %) und Cartagena del Chairá (4 % der Warnmeldungen 2016, heuer bereits 12 %), beides historische Hochburgen der FARC.
„Man kann nicht sagen, dass es einen einzigen Akteur oder einen einzigen Faktor gibt, der dies alles verursacht, aber es gibt es Muster, und dieses besteht darin, dass Menschen Land besiedeln, um die gewonnen Hektar für die Viehzucht zu nutzen und dies lässt sich darauf zurückführen, dass die FARC aufgrund des Friedensabkommens hier nicht mehr präsent ist“, sagt Mario Barón, Leiter der lokalen Umweltschutzbehörde „Corpoamazonia“ im Gespräch mit „La Silla Vacía“.
Die Lage im Chocó, einem anderen Department, in dem eine rasante Zunahme der Rodungen zu verzeichnen ist, stellt sich etwas anders dar.
Gemäß Codechocó gingen zwischen Ende 2016 und den ersten drei Monaten des Jahres 2017 die Punkte auf der Frühwarnskala aufgrund von Rodungen des Instituts Ideam von 206 auf 67 zurück, wobei die Problemfälle in 11 Gemeinden konzentriert sind. Dessen ungeachtet sind illegale Bergbauaktivitäten im Zentrum des Departments gemäß einer Quelle des Umweltministeriums „geradezu explodiert“, weswegen Chocó weiterhin ganz an der Spitze der Departments mit den höchsten Abholzungszahlen steht. Besonders ernst ist die Lage vor allem in der Nähe des Flusses Quito in den Gemeinden Río Quito (Paimadó), El Cantón del San Pablo (Managrú), Itsmina und Medio San Juan (Andagoya), eine Region die heute von der ELN-Guerilla kontrolliert wird, welche die Stelle der FARC nach deren Demobilisierung eingenommen hat.
Obwohl Codechocó noch immer Inspektionsbesuche vor Ort durchführt, um die Ursachen der Rodungen in diesen Punkten zu verifizieren und nachzuvollziehen, warum es zu einer Reduzierung der Warnpunkte kam, liegt eine mögliche Erklärung gemäß zweier Informanten, die für Menschenrechtsorganisationen im Department tätig sind, darin, dass Waldrodungen in Unterregionen wie dem Unterlauf und Mittellauf des Flusses Atrato und in der Region Baudó vorübergehend eingestellt worden sein könnten. Die Ursache dafür sei, so erklären sie, dass „es keine Möglichkeit gibt, sich über die Flüsse fortzubewegen“, da die Bewohner sich auf einmal wieder mitten zwischen den Fronten wiederfinden, wenn es zu blutigen Kampfhandlungen zwischen ELN-Guerilla und den Paramilitärs der „Autodefensas Gaitanistas“ kommt, die hier in der Auseinandersetzung um die Vorherrschaft um die von der FARC verlassenen Gebiete aufeinander stoßen. „Es fällt niemanden ein, hier inmitten des Kampfgeschehens Holz zu fällen“, fügen unsere Auskunftspersonen hinzu.
Wie bereits von La Silla Vacía an anderer Stelle berichtet, finden diese Kampfhandlungen in 15 der 30 Gemeinden des Departments statt. In allen übrigen ähneln die Abholzungszahlen aufgrund (illegalen) Holzeinschlags jenen, die zu der Zeit üblich waren, als dieses Geschäft noch von der FARC-Guerilla kontrolliert wurde, da die „Normen und Regeln“ von der ELN und den Paramilitärs der „Gaitanistas“, welche den Platz der FARC einnahmen, übernommen wurden.
Die Strategie des Staates
Um der Umweltbelastung etwas entgegenzusetzen, die durch die Tatsache, dass die FARC diese Gebiete verlassen hat, verursacht wurde, versucht die kolumbianische Regierung seit Ende des vergangenen Jahres eine als „Umweltblase“ bezeichnete Strategie umzusetzen, welche Teil der umfassenden Strategie gegen die Abholzung ist. Im Department Caquetá wurde bereits ein Pilotprojekt in diese Richtung initiiert, welches in den letzten sechs Monaten auf weitere Departments wie Guaviare, Meta, Norte de Santander und demnächst Chocó ausgeweitet wird.
Im Department Caquetá läuft diese Initiative seit Dezember. Jede Woche treffen sich Funktionäre von 19 staatlichen Behörden und Organismen, von Stadt- und Gemeinde- bis hin zu Departmentverwaltungen, Corpoamazonía, Behörden der Nationalparks, Ideam, Staatsanwaltschaft, Polizei, Streitkräften sowie des Umwelt- und Verteidigungsministeriums, um Informationen über Rodungen und Entwaldungen miteinander zu teilen, gemeinsame Soforteinsätze zu planen, Menschen in Bezug auf Umweltschutzthemen zu schulen und Wachposten oder Kontrollstellen an den Überlandstraßen oder Flüssen einzurichten, um dem Holzschmuggel Einhalt zu gebieten.
In diesen sechs Wochen wurden laut Zahlen der 12. Heeresbrigade, die in Caquetá im Einsatz ist, im Rahmen der Aktion „Blase“ („Burbuja“) 83 Personen festgenommen, 21 Fahrzeuge für den illegalen Holztransport sichergestellt sowie mehr als 720.000 Kubikmeter Holz beschlagnahmt.
Aber ganz abgesehen von diesen „ins Netz gegangenen Fischen“ zeigen die Ziffern eindeutig, dass die Rodungen schneller voranschreiten als es die behördliche Kapazität ermöglicht, diese zu kontrollieren und einzudämmen.
Noch schlimmer ist die Situation im Department Guaviare, wo gemäß einer Auskunftsperson des Umweltministeriums und dem zuständigen Sektionsleiter der Umweltschutzbehörde Wilfredo Pachón der Armee weniger Ressourcen für größere Einsätze zur Verfügung stehen und die Lage betreffend die öffentliche Ordnung komplexer ist.
Pachón erzählt „La Silla Vacía“, dass bis dato nur ein einziger gemeinsamer Einsatz im April durchgeführt werden konnte. Dabei handelte es sich um eine Operation am Boden, da für Einsätze aus der Luft die erforderlichen Mittel fehlten. Die Kommission wurde dabei von der abtrünnigen „Frente Primero“ der FARC angegriffen, welche einen Soldaten tötete, der zum Schutz des Einsatzes abgestellt war.
Ein ähnlicher Fall könnte auch im Department Chocó eintreten, obwohl das Militär über ausreichend Ressourcen verfügt (für die Operation „Agamemnon“ wurden beträchtliche Finanz- und Personalspritzen bereitgestellt), ist es dort aufgrund der Situation der öffentlichen Ordnung schwierig, die Sicherheit für die Ausführung von gemeinsamen Einsätzen gegen die Rodungen zu gewährleisten.
Dazu kommt noch, dass gemäß Auskunftsperson des Ministeriums in diesem Department nicht nur autonome Selbstverwaltungszonen indigener Gemeinschaften („Resguardos“) sondern auch viele gemeinschaftliche Ratsversammlungen vorhanden sind, die unter das Gesetz 70 zum Schutz des Grundeigentums an Brachland von afrokolumbianischer Gemeinschaften fallen. Aus diesem Grund sei es erforderlich, vor der Durchführung von Operationen in diesen Territorien mit den dort ansässigen und die Kontrolle ausübenden indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften Rücksprache zu halten.
Auf diese Weise verliere die Regierung Zeit, um die Strategiepläne in den diversen Departments tatsächlich umzusetzen. Und die Regierung mobilisiere alle Kräfte für diese Strategie, die laut unserem Gesprächspartner aus dem Umweltministerium „die einzige ist“, welche „die Rodungen in den vom Konflikt am stärksten betroffenen Regionen, die nach Friedensschluss von der FARC-Guerilla verlassen wurde, stoppen kann“.